Dr. Volker Schmiedel im Interview: Lieber Volker, als naturheilkundlicher Arzt mit langjähriger Erfahrung in der Orthomolekularmedizin begleitest Du seit Jahrzehnten Menschen auf dem Weg der Heilung. Der gezielte Einsatz von Mikronährstoffen ist dabei eine nicht wegzudenkende Säule Deiner Arbeit. Doch Nährstoffpräparate gibt es zahlreiche und es ist für viele eine Herausforderung zu erkennen, welche Nährstoffe nun wirklich wichtig sind.
Wie stehst Du – neben dem therapeutischen Einsatz – allgemein zum Thema Nährstoffergänzung?
VS: Die Beliebtheit von Nahrungsergänzungsmitteln ist in den letzten Jahren durch die Decke gegangen und der Markt wächst stetig weiter! Dadurch gibt es mittlerweile eine unglaublich große Auswahl an Produkten, sowohl für den präventiven Einsatz, aber auch hochdosierte Spezialprodukte, die in der ärztlich begleiteten Therapie sehr nützlich sind. Bei der großen Auswahl kann es dem “normalen” Verbraucher aber auch schwerfallen, ein hochwertiges Produkt ohne Fachkenntnisse im Bereich Ernährung und Medizin von einem weniger geeigneten zu unterscheiden.
Was die Daseinsberechtigung von Nahrungsergänzungsmitteln angeht: durch zunehmende Umweltbelastung (durch z.B. Luft- und Wasserverschmutzung), unseren heutigen Lebensstil, der oft nur noch wenig “artgerecht” ist sowie Stress, kann der Mikronährstoffbedarf häufig nicht mehr über die tägliche Ernährung gedeckt werden. Besonders Stress hat in unserer Leistungsgesellschaft (leider) ein hohes Ansehen, ist jedoch ein echter Mikronährstoffräuber.
Die resultierenden Mängel machen sich früher oder später bemerkbar, z.B. in Form von allgemeiner Leistungsminderung, über Infektanfälligkeit, bis hin zur Entstehung von (Autoimmun-)Erkrankungen, Atherosklerose oder Krebs.
Um diesen Mehrbedarf an Nährstoffen zu kompensieren, reicht aber eben die Ernährung häufig nicht aus. Hier kann eine gezielte Dosierung mit einem oder mehreren Wirkstoffen in Kombination mit einer angepassten Ernährung viel bewirken. Aufgepasst jedoch bei der Auswahl des Präparates: wie oben beschrieben ist der Markt sehr groß und ein Präparat gleicht nicht dem nächsten. Hier gibt es mitunter sehr große Qualitätsunterschiede und auch ein höherer Preis ist nicht immer ein Indikator für bessere Qualität. Hier ist es wirklich wichtig, sich genau mit den Inhaltsstoffen zu beschäftigen bzw. den Rat einer Fachperson einzuholen, sodass man sich und seinem Körper auch wirklich etwas Gutes tut!
Welche Kriterien muss ein Präparat erfüllen, damit es für Dich als hochwertig gilt?
VS: Da kommen einige Faktoren zusammen! Der jeweilige Mikronährstoff sollte in einer Menge vorliegen, die auch wirksam ist. Viele offizielle Referenzwerte sind eher niedrig angesetzt, da sie den Großteil unserer Bevölkerung vor einem absoluten Mangel schützen sollen. Viele Hersteller agieren jedoch flexibler und orientieren sich im besten Fall an den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft. Auf der anderen Seite sollten Überdosierungen aber natürlich vermieden werden, insbesondere z.B. bei fettlöslichen Nährstoffen, da diese bei einem Überschuss nicht so leicht auszuscheiden sind.
Einige Vitamine haben aktive und inaktive Formen. Bei z.B. Vitamin B1, B2 und B6 sollte man darauf achten, dass sie in ihrer bioaktiven Form vorliegen (Thiaminpyrophosphat, Riboflavin-5-Phosphat, Pyridoxal-5-Phosphat). Außerdem unterscheiden sich auch organische und anorganische Verbindungen voneinander, wobei sich manchmal die eine und manchmal die andere Variante besser eignet. Magnesium (-citrat, -malat, -bisglycinat, -taurat) wird in seiner organischen Form häufig besser vertragen und resorbiert, als anorganische Verbindungen (-oxid). Bei Selen dagegen sind die anorganischen Formen (Selenit, Selenat) den organischen Formen (Selenmethionin, Selenocystein, Selenhefe) überlegen.
Nicht alle Nährstoffe “verstehen” sich miteinander. So ist z.B. Selen immer nüchtern einzunehmen, da sonst die Au fnahme im Darm beeinträchtigt ist. Ein anderes Beispiel ist Eisen – dieses möglichst immer in Kombination mit Vitamin C einnehmen. Mit anderen Nährstoffen, insbesondere Mineralien wie z.B. Calcium, verträgt es sich jedoch nicht (siehe mein YouTube-Video Fehler in der Nährstofftherapie Teil 1). Daher sind Multipräparate, wie es sie häufig zu kaufen gibt, nicht uneingeschränkt empfehlenswert (siehe mein YouTube-Video Fehler in der Nährstofftherapie Teil 3).
Der Nährstoffgehalt im Produkt sollte überprüft werden. Diese Laboruntersuchung ist in Deutschland weder vorgeschrieben, noch wird sie selbstverständlich durchgeführt. Dabei kann es durchaus passieren, dass der deklarierte Nährstoffgehalt nicht mit dem tatsächlichen Nährstoffgehalt übereinstimmt bzw. ihn unter- oder überschreitet. Unternehmen, denen Transparenz am Herzen liegt, lassen daher der Nährstoffgehalt zusätzlich zur Untersuchung auf Schwermetalle und mikrobiologische Verunreinigungen in einem unabhängigen Labor testen und machen die Ergebnisse für Ihre Kund*innen zugänglich.
So viel wie nötig, so wenig wie möglich! Füllstoffe und Zusatzstoffe wie Süßungsmittel oder Konservierungsstoffe sollten möglichst nicht enthalten sein. Manchmal ist es aus technologischen Gründen nicht ganz vermeidbar – in dem Fall sollten die Stoffe dann jedoch genau geprüft werden. Reismehl, Inulin als Ballaststoff oder bestimmte Aminosäuren (z.B. Leucin) als Hilfsstoffe sind unbedenklich, doch Magnesiumstearat oder Titanoxid sollten nicht enthalten sein.
Ob Pulver, Öl, Kapsel, Tablette oder Emulsion – diese Wahl ist so zu treffen, dass der Mikronährstoff optimal wirken kann. Fettlösliche Substanzen wie Vitamin D, Omega-3 oder Q10 liegen am besten in einer öligen Matrix (z.B. Olivenöl oder MCT-Öl) vor. Außerdem ist es wichtig, sie IMMER zu oder direkt nach (nicht vor) einer Mahlzeit einzunehmen, um eine gute Bioverfügbarkeit und Aufnahme im Darm zu gewährleisten. Mineralien wie Magnesium oder Calcium kommen als Kapsel oder Pulver gut an. Aufgelöst in Wasser eignen sie sich bestens für die kontinuierliche Einnahme über den Tag.
Wie kann ich herausfinden, ob ich überhaupt von einem Mikronährstoffmangel betroffen bin?
VS: Hier führt kein Weg an einer Laboruntersuchung vorbei! Manchmal ist an bestimmten Symptomen zwar schon abzusehen, dass ein Mangel vorliegen könnte. Zum Beispiel weisen eingerissene Mundwinkel, brüchige Nägel, Aphten und schnelle Ermüdung auf einen Eisenmangel hin. Wie stark die Ausprägung ist, welches Präparat ich benötige und ob noch weitere Mängel mit ähnlichen Symptomen bestehen, verrät mir jedoch nur eine Blutuntersuchung. Die Bestimmung von Mikronährstoffen ist zwar in der Regel eine Selbstzahlerleistung, jedoch in meinen Augen unerlässlich. Nur so kann man den Status Quo bestimmen und einen Mangel feststellen, der dann ganz gezielt behoben werden kann. Das Gießkannenprinzip ist nicht zu empfehlen, besonders nicht mit hochdosierten Präparaten.
Die Spiegel sollten intervallmäßig (i.d.R. etwa alle drei Monate) kontrolliert werden, um nach der Behebung des Mangels eine individuelle Erhaltungsdosis festzulegen. Die kann nämlich von Mensch zu Mensch variieren! Die (richtige) Messung des richtigen Parameters ist ebenso von großer Bedeutung, z.B. bei Omega-3 oder Eisen, wo die Auswahl des richtigen Analyseverfahrens (Omega-3 Index in der Zelle statt Serum) und Laborparameters (z.B. Ferritin beim Eisenstatus) beachtet werden muss.
Welche Mängel sind besonders verbreitet und welche Nährstoffe dementsprechend wichtig?
VS: Deutschland ist Vitamin D-Mangelland. Zwar ist Vitamin D bei den meisten “nur” als Knochenvitamin bekannt, doch seine Wirkungen sind sehr vielfältig und vor allem mächtig! Genau genommen ist die aktive Form von Vitamin D nämlich ein Steroidhormon. Unsere Versorgungslage ist jedoch schlecht, da die Vitamin D Synthese zu 80 % in der Haut stattfindet wofür es Sonnenlicht (UVB-Strahlung) braucht. Dieses ist in unseren Breiten jedoch nur von April-Oktober stark genug, um die Synthese anzuregen und auch nur dann, wenn wir uns ohne Sonnenschutz und unbedeckt zur Mittagszeit in der Sonne aufhalten. Auch wenn die Umsetzung banal klingt, leben die meisten von uns aufgrund ihres Lebensstils ganzjährig mit einem deutlichen Mangel. Unser Leben findet auch im Sommer häufig in Innenräumen statt. Natürlich wäre es auch hier ideal, eine Laboranalyse als Basis für die Supplementierung zu haben – mit einer Dosierung von 1.000-2.000 I.E. am Tag machen die meisten nichts falsch, sind aber auch nicht unbedingt optimal versorgt. Alles darüber bitte regelmäßig kontrollieren.
Marine Omega-3 Fettsäuren EPA und DHA: Hier können wir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bei Personen, die nicht supplementieren, einen Mangel feststellen. Die einzige Möglichkeit an die aktiven, aquatischen Omega-3 Fettsäuren EPA und DHA zu kommen, ist, jeden Tag fettreichen Seefisch zu essen, z.B. 100 g Makrele oder Hering oder 250 g Lachs. Dies ist, selbst beim größten Fischliebhaber, mit Blick auf unsere Umwelt, die Schwermetallbelastung der Meere und den finanziellen Aufwand für die meisten nicht umzusetzen und auch nicht ratsam! Omega-3 aus pflanzlicher Quelle (z.B. Leinöl) reicht für eine adäquate Versorgung nicht aus, da die enthaltene pflanzliche Omega-3 Fettsäure ALA nur zu 1 – 5 % in EPA und DHA umgewandelt werden kann und selbst nicht über die Eigenschaften von EPA und DHA verfügt. Omega-3 Fettsäuren sind neben ihrer Entzündungshemmung nämlich unerlässlich für eine Herzgesundheit. Daher sind schadstoffgeprüfte und hochdosierte Supplemente aus Fisch oder Mikroalgen (vegan) ein Muss!
Magnesium ist ein unterschätztes Mineral und ist meistens nur bei Sportlern im Gebrauch oder bei Menschen, die schon deutliche Mangelsymptome verspüren, wie z.B. nächtliche Wadenkrämpfe, zuckende Augenlider oder Schlafstörungen. Dabei ist Magnesium an sehr vielen enzymatischen Reaktionen und der Verstoffwechselung von z.B. Vitamin D beteiligt sowie für eine normale Gehirn- und Muskelfunktion unverzichtbar! Zwar gibt es einige Lebensmittel, die gute Magnesiumquellen darstellen (Kerne, Saaten, Vollkornprodukte), doch insbesondere in Phasen andauernder Belastung kann eine Supplementierung mit einem hochwertigen Präparat helfen. Bei der Auswahl des Präparates kann auch auf die Art der chemischen Verbindung geachtet werden – so ist das häufig verwendete Magnesiumoxid für Menschen mit empfindlicher Verdauung eher schlecht verträglich, Magnesiumcitrat besonders bei Sportlern aufgrund der schnellen Verfügbarkeit beliebt und Magnesiumbisglycinat zur Nacht empfehlenswert.
Nun hast Du auch die Erfahrung gemacht, dass Präparate nicht richtig eingenommen werden. Welche Faktoren sollte bei der Einnahme denn unbedingt berücksichtigt werden?
VS: Die richtige Einnahme ist im Grunde genauso wichtig wie die eigentliche Qualität des Präparates. Denn auch ein hochwertiges Produkt kann seine Wirkung nicht entfalten, wenn es falsch eingenommen wird. Das ist dann leider herausgeworfenes Geld.
Welcher Einnahmezeitpunkt “richtig” ist, kommt ganz auf den Mikronährstoff an. Zink und Selen sollten z. B. immer nüchtern eingenommen werden, können aber miteinander kombiniert werden. Omega-3 und Vitamin D dagegen auf keinen Fall, sondern immer zu oder direkt nach einer Mahlzeit. Auch bestimmte Lebensmittel wie Kaffee, Tee oder Milchprodukte beeinflussen die Wirkung von z.B. Eisen. Hier sollte es einen zeitlichen Abstand von 2 Stunden geben. Gewissenhafte Hersteller vermerken in der Regel einen genauen Einnahmehinweis auf ihrem Präparat.
Um einen Effekt zu erzielen, muss außerdem eine ausreichende Dosis zugeführt werden. Diese ist abhängig von Geschlecht, Gewicht, Altersgruppe, Belastung, Aktivität, Ernährung uvm.
Je nach Ausprägung des Mangels muss der Nährstoff über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Bei essentiellen Nährstoffen wie Omega-3 Fettsäuren, Vitamin D und ggf. Vitamin B12 ist eine dauerhafte Supplementierung als fester Bestandteil der Ernährung sinnvoll.
Und zu guter Letzt, wie oben bereits angesprochen, kann man nicht alle Mikronährstoffe in einen Topf werfen. Einige können gut zusammen eingenommen werden und ergänzen sich sogar (Klassiker Vitamin D + Omega-3 oder Eisen + Vitamin C). Andere Nährstoffe sollten möglichst separiert eingenommen werden (Calcium oder Magnesium in Kombination mit Eisen ist nicht sinnvoll).
Welche Aspekte muss ich bei einer Supplementierung beachten? Wo sollte ich ggf. mit einer therapeutischen Fachkraft Rücksprache halten?
VS: Durch die geringe Reglementierung von Nahrungsergänzungsmitteln in Europa steht der nicht-fachkundige Durchschnittsverbraucher den Marketingstrategien vieler Hersteller naiv gegenüber und kann die eigentliche Produktqualität nur schwer einschätzen.
Einige Produkte überschreiten in ihrer Zusammensetzung die Referenzwerte (in DE gibt es keine allgemeinen gesetzlichen Höchstwerte) um ein Vielfaches. Bei wasserlöslichen Nährstoffen ist dies im schlimmsten Fall “nur” eine Mehrbelastung für den Körper, der das Zuviel wieder loswerden muss (und aus dem Fenster geworfenes Geld). Bei fettlöslichen Stoffen wie Vitamin A oder E ist dies jedoch nicht so leicht. Stoffe wie Eisen, Selen und Jod sollten immer nur nach Laboranalyse eingenommen werden, da eine längerfristige Überdosierung hier mitunter auch negative Folgen haben kann.
Manche Mikronährstoffe beeinflussen die Verstoffwechselung von Medikamenten wie Antidepressiva (5-HTP), Gerinnungshemmern (Omega-3, K2) oder Kontrazeptiva (Johanniskraut). Hier sollte von Seiten der beratenden Fachkraft auf mögliche Konflikte hingewiesen werden. Grundsätzlich sind selbstständige, langfristige Einnahmen hoher Mengen eines Nährstoffs nicht empfehlenswert, da sie ohne Erfassung und Kontrolle des Spiegels zu Nebenwirkungen führen kann.
Siehst Du gezielte Nahrungsergänzung als Chance für die Gesundheit unserer Gesellschaft?
VS: Definitiv – das Stichwort heißt Prävention! Einige Mikronährstoffmängel, die viele Menschen betreffen, können leicht, auch ohne ärztliche Betreuung und vergleichsweise günstig behoben werden! So kann langfristig vielen Erkrankungen vorgebeugt, und auf die Weise natürlich auch Kosten im Gesundheitssystem eingespart werden. Neben dem ökonomischen Aspekt geht es aber vor allem auch um das Wohlbefinden eines jeden Einzelnen von uns. Das kann durch gezielte Ergänzung maßgeblich gesteigert werden.